Interview mit der ehemaligen Vorsitzenden Karin Siebert des VfK-Berlin Südwest e.V.

"Welches kleine Paradies wir hier genießen dürfen"

Frage: Du bist seit fünf Jahren Vorsitzende des VfK. Was hat sich in dieser Zeit am meisten verändert?

Karin Siebert: Wir haben wieder deutlich mehr junge Familien mit Kindern unter unseren Mitgliedern. Das macht das Vereinsleben lebendiger und  sichert auch den Weiterbestand über das Jahr 2022 hinaus. Dann feiert unser Verein sein 100jähriges Bestehen, natürlich mit einem großen Fest.

Frage: In ganz Europa überaltern die FKK-Vereine, nur der VfK hat viel Nachwuchs, auf dem Gelände sind lauter Familien mit Kindern. Was macht dieser Verein anders als andere?

KS: Wir haben uns bewusst dafür entschieden, mit günstigen Beiträgen gezielt junge Familien anzusprechen. Der Beitrag wird umso niedriger, je mehr Kinder eine Familie hat. Das war erfolgreich.

Frage: Die Beitragsordnung des VfK ist ja überhaupt schlau! Erst im zweiten Jahr als Mitglied muss man Arbeitsstunden ableisten oder zusätzlich zahlen und erst im dritten Jahr kommt die Umlage für den Kauf des Geländes, aber bis dahin sind die Neumitglieder fest an den Verein gebunden …

KS: Mit dieser wachsenden Bindung an den Verein rechnen wir natürlich. Wir wollten aber auch die finanziellen Hürden für den Beitritt nicht zu hoch machen, z.B. durch hohe Aufnahmebeiträge. Die Umlage für den Geländekauf entfällt  ab diesem Jahr übrigens für alle Mitglieder. Der Kredit, den wir dafür vom Senat bekommen hatten, ist schon zurückgezahlt.

Frage: Heute wäre so ein Kauf vermutlich gar nicht mehr möglich, weil die Grundstückspreise durch die Decke gegangen sind?

KS: Ich bin nicht sicher, ob sich das bei uns  so stark ausgewirkt hätte. Unser Grundstück ist als Landschaftsschutzgebiet  nicht „wirtschaftlich“ verwertbar. Es darf ja nicht verändert, also insbesondere nicht bebaut werden.

Frage: Welche Rolle spielt das Internet für die Mitgliederwerbung des VfK?

KS: Das Internet ist das Informationsmittel schlechthin. Das gilt sicherlich auch für die Suche nach einem Verein, der den eigenen Vorstellungen entspricht. Andererseits weiß ich aus Gesprächen mit Neumitgliedern und Interessenten, wie wichtig die persönliche Empfehlung ist, also eine Direktwerbung durch Mitglieder in ihrem Bekannten-/Freundeskreis.

Frage: Der VfK ist bald 100 Jahre alt und Berlin gilt als einer der Ursprungsorte des Naturismus in Deutschland, wenn nicht weltweit. Ist die Geschichte des VfK ein Teil dieser größeren Geschichte?

KS: Sicher. Der VfK ist nach dem Ersten Weltkrieg aus der damals herrschenden Aufbruchstimmung heraus entstanden. Er ist immerhin der zweitälteste FKK-Verein in Berlin.

Frage: Der frühe Naturismus wollte noch die Welt verändern, linke Lebensreformer träumten von der Gleichheit aller Menschen, von der Rückkehr zur Natur und vom Weltfrieden, rechte vom abgehärteten Germanen. Heute wirkt das etwas lächerlich, trotzdem die Frage: Ist davon gar nichts übrig geblieben oder gibt es noch irgend einen Rest von „Philosophie“ oder zumindest „Lifestyle“ im Naturismus?

KS: Es gibt noch Anhänger der „reinen“ Lehre des Naturismus, auch bei uns. In manchen Vereinen – auch in Berlin – wird Sport grundsätzlich nackt betrieben und das keineswegs nur auf dem jeweiligen Vereinsgelände, sondern z.B. auch beim Radfahren oder Wandern. Im VfK ist das nicht so. Das entspricht auch der mehrheitlichen Vorstellung der Mitglieder. Einige wenige allerdings finden, dass der VfK deswegen gar kein „richtiger“ FKK-Verein sei.

Frage: Bis zum Fall der Mauer 1989 konnten die Westberliner nicht zur Naherholung ins Umland fahren, seitdem geht das. Umgekehrt ist der Verein jetzt auch für frühere „Ossis“ zugänglich. Was hat das für den VfK verändert?

KS: Eine Unterscheidung Wessi – Ossi möchte ich nicht treffen. Ich weiß auch nur von wenigen Mitgliedern und wenn dann eher zufällig, ob sie früher im Osten oder im Westen gelebt haben. Für uns als Verein war die Grenzöffnung ein Einschnitt, und zwar ein durchaus problematischer. Mit dem wiedergewonnenen Umland haben sich für die ehemals eingesperrten Westberliner ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Das reicht vom Tages- oder Wochenendausflug bis zum Häuschen mit Garten gleich hinter der ehemaligen Grenze. Damit hat der Verein für die Freizeitgestaltung an Bedeutung verloren. Wir merken das zwar nicht an der Mitgliederzahl, die bleibt seit Jahren ziemlich konstant. Aber auf unserer Sonnenwiese und im Schwimmbad war es bis vor ein paar Jahren deutlich leerer als früher und ist es auch jetzt noch nicht so voll wie vor dem Mauerfall.

Frage: Aber dafür konnten seit 1989 Menschen aus dem alten Ostberlin und dem Umland Mitglied werden?

KS: Das stimmt. Die Wende hat uns zwar zunächst Mitglieder gekostet. Wir haben aber auch neue dazugewonnen. Unsere Mitgliederzahl bleibt jetzt seit Jahren gleich.

Frage: Mitte der 1960er Jahre begann der große Aufstieg der FKK-Vereine, viele waren bald so überlaufen, dass es Wartelisten für Neumitglieder gab. Das ist lange her – hast Du eine Erklärung für dieses starke Auf und Ab?

KS: Eine wirkliche Erklärung habe ich dafür nicht. Die FKK-Bewegung nimmt eben Teil an den gesellschaftlichen Veränderungen. Und hier geht der Trend auf der einen Seite ganz generell weg von langfristigen Bindungen. Zu solchen Bindungen gehört auch eine Vereinsmitgliedschaft im Gegensatz zu von vornherein zeitlich befristeten Verträgen wie z.B. mit einem Fitnessclub. Speziell für die Freikörperkultur spielen veränderte Einstellungen zum „öffentlichen“ Nacktsein eine wesentliche Rolle. Das hat sich in den letzten Jahren offenbar verschoben hin zu einer wieder verstärkten Schamhaftigkeit. Worauf das beruht, kann ich nicht sagen.

Frage: Der VfK bietet ein breites Angebot: Es gibt die klassische Erholung auf der Wiese am Pool, es gibt ein breites Sportangebot und dann noch diverse gesellige und kulturelle Aktivitäten. Wie hat sich das entwickelt und was davon hat welches Gewicht im Leben des Vereins?

KS: Sport spielt für unsere Mitglieder eine große Rolle und wir haben Angebote für alle Altersgruppen vom Kind bis zu den Senioren. Unser Sportangebot hat sich im Lauf des Bestehens unseres Vereins immer wieder verändert. Sportarten unterliegen  ja auch bestimmten Modetrends. Wir passen uns im Rahmen unserer Möglichkeiten an. Den Teilnehmern geht es dabei sowohl um die eigene Gesundheit wie um soziale Kontakte. Letztere werden natürlich auch bei Festen und Feiern gepflegt. Aber hier müssen wir leider feststellen, dass wir die jüngeren Mitglieder unseres Vereins eher nicht erreichen. Darüber, warum das so ist, rätseln wir selbst.

Frage: Als Sportverein beteiligt sich der VfK am Jugendaustausch mit Israel, konkret mit der Stadt Nazareth, wo auch viele Araber leben. Nun ist der Naturismus im Nahen Osten nicht gerade weit verbreitet, im Islam sogar ein No-Go. Gab es da schon Irritationen  bei den israelisch-arabischen Partnern des VfK?

KS: Die bisherigen Teilnehmer des Jugendaustauschs waren weit überwiegend Christen oder jedenfalls keine streng religiösen Muslime. Selbstverständlich werden sie darüber informiert, dass der VfK ein FKK-Verein ist. Aber tatsächlich kommen sie mit dem FKK-Betrieb kaum in Berührung. Sie halten sich fast ausschließlich auf dem Sportgelände auf, das vom eigentlichen Vereinsgelände getrennt ist. Wir bieten den Teilnehmern zwar immer an, unser Schwimmbad zu nutzen. Aber vor der Vorgabe, sich zum Schwimmen ausziehen zu müssen, sind sie bislang immer zurückgeschreckt. Wichtig ist uns auch politisch natürlich, dass der Jugendaustausch mit Israel verbunden ist mit Kontakten zu Berliner Familien.

Frage: Wie wird man als Münchnerin Vorsitzende eines Berliner FKK-Vereins?

KS: Das war definitiv nicht geplant. Auch von meiner Seite nicht. Aber als sich im Jahr 2014, als der Verein einen komplett neuen Vorstand brauchte, niemand fand, der dieses Amt übernehmen wollte, haben die Mitglieder wohl über meinen „Migrationshintergrund“ hinweggesehen. Ich bin ja auch die erste weibliche Vorsitzende. Ein gutes Zeichen.

Frage: Gab es in Deiner Zeit im Vorstand auch Probleme und Konflikte?

KS: Ja reichlich und vor allem unvorhersehbare. Die einschneidendste Veränderung brachte der Weggang unserer langjährigen und sehr versierten Sekretärin, weil sie sich beruflich neu orientieren wollte. Sie hat alles Detailwissen über die praktischen Arbeitsabläufe mitgenommen. Der Vorstand hatte dieses Wissen nicht. Die Suche nach einer Nachfolgerin hat sich dann über fast zwei Jahre bis zum Frühsommer 2019 hingezogen. Das war eine harte Zeit für den geschäftsführenden Vorstand.

Der zweite Problembereich hat sich aus dem schon angesprochenen Gewinn neuer und jüngerer Mitglieder ergeben. Viele unter ihnen waren wohl vor allem von unserem Schwimmbad angelockt worden und hatten mit dem Verein als solchem und vor allem mit dem Naturismus wenig im Sinn. Und so waren  nicht nur fast alle Kinder und Jugendlichen – erlaubtermaßen – plötzlich bekleidet, sondern auch viele von den Eltern. Das wiederum hat die Alt-FKK’ler auf die Bäume gebracht, weil es den Vereinscharakter zu verändern drohte. Die Diskussion darüber hat sich über mehrere Jahre hingezogen. Das drohte den Verein wirklich zu spalten. Glücklicherweise haben wir mittlerweile einen Kompromiss gefunden, mit dem fast alle leben können.

Frage: Du hast angekündigt, nicht wieder als Vorsitzende zu kandidieren. Was würdest Du Deinem Nachfolger oder Deiner Nachfolgerin auf den Weg geben wollen?

KS: Dass man den Mitgliedern – und bei unvermeidlichem Ärger und Schwierigkeiten auch sich selbst – immer wieder ins Bewusstsein rufen muss, welches kleine Paradies wir hier auf unserem schönen Gelände genießen dürfen und dass es sich lohnt, sich dafür einzusetzen.

Karin Siebert
Karin Siebert